Label: rent a dog
Line-Up:
Hayden Chisholm - Saxophone, Flute
Philip Zoubek - Piano, Prepared Piano, Moog
Sebastian Gramss - Double Bass, Spacebass
Track Listing:
1 I__4:13
2 WILL__ 4:26
3 TELL__ 3:39
4 YOU__ 3:05
5 WHAT__ 3:36
6 FREEDOM__ 3:45
7 IS__ 2:18
8 TO ME:__ 4:01
9 NO FEAR !__ 3:55
10 I MEAN__ 2:21
11 REALLY,__ 4:03
12 NO__ 5:06
13 FEAR !__ 3:04
14 NINA__ 2:54
15 SIMONE__ 3:58
Music composed by Sebastian Gramss
except #10: traditional Korean song
Eine Kontrabasslinie, beredt, elastisch, unweit „So What“ von Miles Davis' Jahrhundertalbum Kind Of Blue. Elegant. Etwas Jarrett nieselt aus dem Flügel. Der Saxofonkorpus atmet. Dann, wie aus freiem Willen, hat sich die Melodie materialisiert, und der Titel „I“ steht im Raum, der Opener des neuen Albums von Slowfox. Nach kaum einer halben Minute zum Song zusammengewachsen, unversehens und ohne Eile. Als wäre er noch nie nicht da gewesen.
Freedom, das dritte Album des Kölner Trios, steht für Freiheit und strahlt sie aus. „Melodic Avantgarde“ nennt Bandleader Sebastian Gramss die Musik des Kollektivs, stets in der Lage und willens, Grenzen in welche Richtung auch immer zu perforieren. Einfach so. Oder - auch nicht. Laut ist das nicht. Aber kompromisslos.
Der Name des Albums geht zurück auf einen ikonischen Satz, mit dem die große Nina Simone 1968 einem Interviewer auf seine Frage nach ihrer Definition von Freiheit geantwortet hatte: “I will tell you what freedom is to me: No fear. I mean really no fear.“ Aus der Syntax gelöst, dienen die Wörter nun als Titel für die Tracks des Albums. Die inhaltliche Essenz verbleibt dabei unangetastet in ihrem ursprünglich künstlerischen Bezug, wird seitens der Band nicht mit neuer Bedeutung aufgeladen.
Songtitelfindung per Zitat betreiben Slowfox schon seit dem Debütalbum The Woods (2014). Da kam es von US-Dichter Robert Frost, bei ECHO-Preisträger Gentle Giants (2017) ist es ein Sprichwort, das häufig Friedrich Nietzsche zugeschrieben wird.
2013 zusammengestellt von Sebastian Gramss, spielt das instrumental gleichberechtigte Trio kammermusikalisch anmutenden Kompositions-Jazz im Popsong-Format: Kurze Stücke, keins länger als fünf Minuten, die bei hohem Komplexitätsniveau behende auf den Punkt kommen. Außerordentlich komplexe, kontrapunktisch sauber verschachtelte Musik, warm, eingängig in ihrer Unalltäglichkeit, indem sie alltagsgeprägte Hörgewohnheiten einbindet, ohne sie zu zitieren.
Kein Ort für circensische Zurschaustellung toller Fingerfertigkeiten. Die außerordentliche Virtuosität der Musiker ist schlicht notwendig für ihre Musik. Solche Preziosen mit weniger Virtuosität und Erfahrung angemessen zu realisieren, wäre kaum möglich. Ein formidables Dreigestirn aus individualistischen Teamspielern:
Saxofonist Hayden Chisholm, u.a. bekannt aus der Volkslied-Doku „Sound of Heimat“, ist ein einfühlsamer, flexibler Spieler mit einer subtilen, sehr markanten Intonation, die man auch in Aufnahmen von Burnt Friedman oder David Sylvian schnell identifiziert.
Pianist, Moogspieler und Niederösterreicher der Band ist Philip Zoubek. Ein stets genauer, kraftvoller und kommunikativer Spieler, Mehrfachpreisträger mit Abschluss, der mit Frank Gratkowski, Louis Sclavis, Paul Lytton u. a. gearbeitet hat.
Bandleader Sebastian Gramss schließlich, Intonationsphänomen und Bassmann von Welt („A masterful bass player“, Cadence Magazine, NYC), swingt kühl, pocht, lässt Rockphrasierung rein und liefert ausgeprägt akkordische Qualitäten von modalem Jazz bis zur reinen Klangkreation.
Das epische, narrative Moment in Gramss' Kompositionen leidet so wenig unter der Kürze der Songs wie die prägnante rhythmischen Emphase unter dem Verzicht auf Schlagwerk. Da entsteht Luft im System, Spiel-Raum für musikalische Bewegungen und Dynamiken praktisch jeder Art. „Nina“ ist erfüllt von dunklen, dickfaserigen Soundclustern, erzeugt auf dem „Space Bass“, einem Kontrabass-Unikat mit zwölf eng am Korpus anliegenden Resonanzsaiten. Eindrucksvoll. Im frei schwebenden „Fear“ werden Saxophon und Bass von den subversiven Klängen des präparierten Klaviers (prepared piano) gestützt statt unterwandert. „Will“, ein Uptempo mit halbfesten Sax-Schlieren in der Troposphäre, singt abstrahierte Afrojazz-Melodik zu insistierenden Akkorden von Bass und Klavier. Und so fort. Praktisch jedes der Stücke birgt so ein Erlebnispotenzial.
Freedom zeigt eine sehr aufgeräumte Synthese aus moderner Klangästhetik und eigener Auffassung von zeitgenössischer Melodik ohne stilistische Sperrbezirke. Minutiös durchdacht und arrangiert, mit Intuition und Know-How zusammengefügt und in Bewegung gebracht, ist dieses komplexe Zeug dennoch leicht in seiner Eingängigkeit.
Opulente Reduktion.
ROLF JÄGER